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Die Sorben in der Lausitz

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Die Sorb:innen sind eine Minderheit in Deutschland und bewahren seit Jahrhunderten ihre Sprache, Traditionen und Identität. Doch der Strukturwandel und der Verlust der Sprache stellen die Gemeinschaft vor große Herausforderungen. Wie gelingt jungen Sorb:innen der Erhalt ihrer Kultur?

Die Sorb:innen sind Nachfahr:innen von slawischen Stämmen, die im 6. Jahrhundert nach Christus im Zuge der Völkerwanderung ihre Heimat nordöstlich der Karpaten verließen. Sie ließen sich in dem damals weitgehend unbesiedelten Gebiet zwischen Elbe, Saale und Ostsee nieder.1 Besonders in der Ober- und Niederlausitz konnten sie über Jahrhunderte hinweg ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahren. Die Sorb:innen gelten als ursprünglich ansässiges Volk.2 Sie sind eine von vier anerkannten Minderheiten in Deutschland.

In der Lausitz konnte sich die slawische Sprache über die Jahrhunderte hinweg erhalten und zu den zwei modernen Hochsprachen Niedersorbisch (in Brandenburg) und Obersorbisch (in Sachsen) entwickeln.3 Die Vermischung der zwei Sprachräume sei jedoch fließend, erklärt Robert Lorenc, Ethnologe am Sorbischen Institut Bautzen. „Jeder, der sich Sorbisch fühlt – egal, ob er die Sprache spricht, im Siedlungsgebiet lebt, die Bräuche und Traditionen pflegt, oder eben nicht – darf sich als Sorbe oder Sorbin bezeichnen“, sagt er.
Heute leben schätzungsweise 60.000 Sorb:innen in Deutschland. Davon sind etwa 40.000 in der sächsischen Oberlausitz (Obersorb:innen) und 20.000 in der brandenburgischen Niederlausitz (Niedersorb:innen) ansässig. Gut die Hälfte von ihnen gehören dem Christentum an.4

Brauchtum und kulturelles Erbe
Traditionelle Bräuche sind ein fester Bestandteil ihrer Kultur. So zum Beispiel das sorbische Osterreiten, das weit über die Region hinaus bekannt ist. In festlicher Kleidung, mit Zylinder und schwarzem Gehrock, reiten Männer singend auf geschmückten Pferden durch die Dörfer. Auch der sorbische Trachtenschmuck, aufwendig bestickte Hauben und farbenfrohe Röcke, werden bis heute bei festlichen Anlässen getragen.

Neben dem Osterreiten gehört auch die Vogelhochzeit im Januar zu den bekannteren Bräuchen. Dabei danken Vögel den Menschen symbolisch für die Winterfütterung. Kinder stellen am Vorabend Teller bereit, die über Nacht mit Gebäck in Vogel- und Nestform gefüllt werden. Am Festtag selbst legen Kinder in Kindergärten und Schulen sorbische Hochzeitstrachten an, verkleiden sich als Vögel – mit Elster und Rabe als Brautpaar – und feiern mit Umzügen, Liedern und Tänzen.5 Trotz aller Pflege des traditionellen Brauchtums ist die sorbische Kultur keine statische Folklore. „Die Sorben erscheinen einmal im Jahr zu Ostern in den Nachrichten“, erklärt Lorenc. „So wird die Kultur oft auf Klischees und frühbäuerliche Bräuche verkürzt.“ Vielmehr lebe sie jedoch vom Wandel und der Bereitschaft zur Weiterentwicklung. Junge Sorb:innen bringen neue Impulse ein, durch zweisprachige Kulturprojekte, moderne Lyrik oder Musik. Die Tradition erstarrt so nicht zu einem Relikt, sondern wird in neuen Formen fortgeführt.

Eine sorbische Dragqueen
Für diese Entwicklung steht beispielhaft das Kollektiv „Wakuum“, einer der wichtigsten Vertreter sorbischer Subkultur in der Lausitz. Die Mitglieder veranstalten sorbische Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und sogar ein eigenes Festival in Hoyerswerda. Im Januar organisierten sie in Cottbus die erste queere Vogelhochzeit.6 Traditionell folgen die Kinder heteronormativen Vorstellungen, wenn sie an diesem Tag die Rolle der Braut und des Bräutigams nachspielen. Bei der queeren Vogelhochzeit hingegen ging es um gleichgeschlechtliche Ehen und neue Rollen wie einen Kakadu.

Auf der Bühne stand auch die sorbische Dragqueen „Angel van Hell“. Sie wuchs im sorbischen Dorf Schleife im Landkreis Görlitz auf – umgeben von sorbischer Kultur und Tradition. Sorb:in sein – das ist für Angel Teil ihrer Identität. „Das ist mein ganzes Leben. Deswegen ist es ganz tief in mir drin, es ist, wer ich bin.“
Ihr Auftritt als sorbische Dragqueen ist bis jetzt einzigartig – und löst gerade in der eher konservativen sorbischen Community gespaltene Reaktionen aus. Angel trägt bei ihren Shows Teile einer sorbischen Tracht. Das Ganze jedoch neu kombiniert – und selten traditionskonform. „Bei uns in Schleife haben wir noch eine richtig strenge Haube, bei der die Haare nicht zu sehen sind. Ich habe bewusst die Haube so aufgesetzt, dass die Haare überall rausgucken“, erzählt sie.

„Es ist die Sprache, in der man träumt.
Das zeigt die emotionale Verbundenheit, die wir zu unserer Sprache
haben“

Sprache als Identitätskern
Identitätsstiftend für die sorbische Kultur ist für viele die Sprache. Ein entscheidender Schritt zur Hochsprache erfolgte mit der Reformation: Durch Predigten und Gemeindegesang in der Muttersprache entwickelte sich eine sorbische Schriftsprache.7
Auf die Bedeutung der Sprache verweist auch Ethnologe Lorenc: „Es ist die Sprache, in der man träumt. Das zeigt die emotionale Verbundenheit, die wir zu unserer Sprache haben.“ Durch gezielte Förderung in Bildungseinrichtungen, Medien sowie innerhalb sorbischer Vereine und Organisationen wird ihre Weitergabe an nachfolgende Generationen gefördert.

Einfluss in der Politik
Bereits seit DDR-Zeiten genießen die Sorb:innen einen besonderen Minderheitenschutz. In einem Vertrag haben Sachsen und Brandenburg festgelegt, dass Sprache und Kultur der Sorb:innen durch eine Stiftung gefördert werden sollen.8
Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt sich in vielen Orten der Lausitz: Dort sind die Beschilderungen häufig zweisprachig – auf Deutsch und Sorbisch. Doch Straßenschilder allein reichen nicht aus, um eine Minderheit wirksam zu schützen. Unterricht auf Sorbisch, Medienangebote in sorbischer Sprache, Gottesdienste, Institutionen sowie Förderprogramme von Bund und Ländern sollen den Fortbestand der sorbischen Kultur sichern und ihre Interessen in der sächsischen und brandenburgischen Mehrheitsgesellschaft vertreten.
Und auch wenn entsprechende Strukturen vorhanden sind, garantieren sie nicht automatisch das Weiterleben der Kultur. Institutionen wie der Bund Lausitzer Sorben, der Rat für sorbische Angelegenheiten oder das Sorbische Institut bieten der Gemeinschaft zwar eine Plattform, ihr politischer Einfluss bleibt jedoch begrenzt. Daher liegt es oft an engagierten Politiker:innen, sich auf parlamentarischer Ebene für den Schutz und die Förderung der sorbischen Kultur einzusetzen. Seit 2018 besitzen sie auch eine Volksvertretung – den Serbski Sejm.9

Wandel und Zukunft
Die sorbische Gemeinschaft hat in der Vergangenheit wiederholt unter politischen Repressionen gelitten. Die Industrialisierung, der Braunkohleabbau, die Zuwanderung deutschsprachiger Arbeitskräfte und der damit einhergehende Germanisierungsdruck führten zu einem Rückgang des sorbischen Sprachraums.
Auch heute steht die sorbische Kultur vor großen Herausforderungen. Dazu zählt der Strukturwandel in der Lausitz. Mit dem Ende des Kohleabbaus in den sorbischen Siedlungsgebieten gingen viele Arbeitsplätze verloren, sodass junge Sorb:innen ihre Heimatregionen verlassen müssen. Auch sorbische Schulen sind von Schließungen und Finanzkürzungen betroffen.10 Dadurch drohen Sprache und kulturelle Identität an Bedeutung zu verlieren.

Gleichzeitig zeigt sich eine zunehmende Revitalisierung der Sprache. „Immer mehr Eltern lassen ihre Kinder wieder Sorbisch lernen, die früher verpönte Sprache ihrer Groß- und Urgroßeltern“, erzählt Sprachforscherin Cordula Ratajczakowa vom Netzwerk für sorbische Sprache und regionale Identität ZARI. Es sei wieder nützlich, sorbisch zu sprechen, besonders für die Verständigung in anderen slawischen Sprachen Osteuropas.
Heute gibt es zahlreiche Initiativen zur Stärkung der sorbischen Sprache und Identität. Bildungsangebote wie das „Witaj-Programm“ helfen, damit Kinder von klein auf mit der sorbischen Sprache heranwachsen.11 Auch in der Kulturarbeit bemühen sich viele Akteur:innen, Bräuche und Sprache lebendig zu halten. Doch ob es gelingt, Sprache und Kultur langfristig zu bewahren, hängt unter anderem davon ab, wie gut sich die Tradition an die Moderne anpassen kann.

„Ich glaube, Sorb:innen müssen offener sein für neue Wege“, sagt Dragqueen Angel. Durch die Abwandlung verschiedener Traditionen und Bräuche würde man auch mehr Menschen außerhalb der sorbischen Community erreichen. „Auch wenn ich nicht komplett in der Tracht bin, aber Trachtenelemente trage, kriegen die Leute mit, dass das existiert.“
Sich der Moderne anzupassen, könnte so zur Überlebenschance für die Kultur werden – zum Beispiel in Gestalt einer sorbischen Dragqueen.

  1. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung: Sorben/Wenden, auf politische-bildung-brandenburg.de. ↩︎
  2. Minderheitensekretariat: Übersicht und Selbstverständnis, auf minderheitensekretariat.de. ↩︎
  3. Mitteldeutscher Rundfunk: Die Sorben – Was? Wann? Warum?, auf mdr.de. ↩︎
  4. Mitteldeutscher Rundfunk: Was glauben die Sorben?, auf mdr.de. ↩︎
  5. Vogelhochzeit – Elstern und Raben bringen kleine Gaben, auf sorbe.de. ↩︎
  6. Rundfunk Berlin-Brandenburg (Hg.): Künstlerkollektiv bringt die erste queere Vogelhochzeit auf die Bühne, auf rbb24.de. ↩︎
  7. Evangelische Kirche Deutschland: Mit Luther lesen lernen, auf ekd.de. ↩︎
  8. Schneider, Gerd, Toyka-Seid, Christiane: Sorben, Bundeszentrale für politische Bildung 2025. ↩︎
  9. Rundfunk Berlin-Brandenburg: Sorbisches Parlament Serbski Sejm gewählt, auf: rbb24.de. ↩︎
  10. Götze, Susanne: Die Sorben und der Strukturwandel, auf: deutschlandfunk.de. ↩︎
  11. Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (Hg.): Stimmenfang. Sprachen machen Spaß. Ein Fazit, auf: sorbisch-na-klar.de (11.08.2025). ↩︎

Autor:innen

  • Redakteurin

    Aufgewachsen in Bayern, vor 10 Jahren zum Studieren in den wilden Osten (Chemnitz) gezogen und will Sachsen seitdem nicht mehr verlassen.

  • Grafiker

    Ur-Chemnitzer durch und durch. Hat hier seine Ausbildung zum Mediengestalter gemacht und ist unser kreativster Frischling mit Heimvorteil.

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